Der Notfall, oder wie es hier heißt, der „State of Emergency“ ist seit Samstag, dem 28.März 2020 nun auch in Timor-Leste eingetreten und soll bis zum 28.April 2020 gelten.
Seit unserem letzten Bericht haben wir unsere Vorräte weiter aufgestockt, so daß wir uns unter Deck inzwischen kaum noch bewegen können. Aber da die Informationslage insgesamt sehr unklar ist und sich viele Informationen wiedersprechen haben wir für eine lange Zeit vorgesorgt und bis zur letzten Stunde immer wieder die frischen Lebensmittel sowie vor allem Trinkwasser ergänzt.
An Land sahen wir, das immer mehr Menschen die Stadt verließen und Stück für Stück haben auch immer mehr Läden geschlossen. Die Supermärkte waren für unsere Besorgungen allerdings geöffnet.
Am Freitag, den 27.März 2020 ließ uns die Maritim-Polizei, bei der wir unser Dingi abstellen, nicht an Land, sondern schickte uns paddelnder weise zum Immigrationsbüro im Hafen. Zum Glück kam ein freundlicher Einheimischer mit seinem motorisierten Boot und nahm uns dorthin in Schlepp – das war ziemlich weit. Der Immigrationsbeamte erklärte uns, daß wir heute in die Stadt gehen sollten, um noch einmal einzukaufen, denn danach sollen wir für vier Wochen, also die gesamte „Notfallzeit“, an Bord bleiben. Für unsere Trinkwasserversorgung sagte er uns zu, daß die Maritim-Polizei uns damit versorgen solle. Er rief auch gleich bei der Maritim-Polizei an und so war alles für diesen Tag in Ordnung. Für das weitere Vorgehen zu unserem Visum, das innerhalb der „Notfallzeit“ ablaufen wird, gab er uns eine Telefonnummer.
Der Rückweg zur Maritim-Polizei, um unser Dingi dort an Land zu stellen, war gaaanz schön lang zum Paddeln. Nun aber ließen uns die Polizeibeamten auch wieder freundlich an Land zu unseren Besorgungen.
Auf den Straßen bemerkten wir immer wieder, daß die Menschen große Ängste haben und ziemlich verunsichert sind. Wir wurden in der vergangenen Woche auch häufig angesprochen: „Corona, Corona???“ Vielfach war die Verständigung schwierig, denn Englisch ist nicht sonderlich geläufig in der Bevölkerung, obwohl man sich bemüht die Defizite nachzuholen. Hier wird die Landesspreche Tetun gesprochen, die wir nicht verstehen. Wir nahmen uns aber jedes Mal die Zeit uns mit den Fragenden so gut wie möglich auszutauschen und spätestens wenn sie verstanden, das wir seit letztem Weihnachten, also vor dem Corona-Virus, in Dili sind, bekamen wir wieder freundliche Gesichter zu sehen, denn so sind wir ja keine Gefahr sondern genau wie sie selbst „OK“.
Vergangenes Wochenende gab es hier laut Hörensagen von unseren Bekannten Auseinandersetzungen mit Zugereisten, die hier leben. Es flogen auch Steine – aber so etwas gibt es in Europa wie z.B. in Spanien wo Krankenwagen beworfen werden ja auch, wenn die Menschen vor Ort Angst haben und einfache verständliche Erklärungen fehlen, die die Ängste nehmen. Der Auslöser hier waren Bilder, die über Facebook geteilt wurden und einen heftigen Asthmaanfall mit dem Titel Corona zeigten und so für Panik und vor allem Wut auf diejenigen auslösten, über die diese Krankheit ins Land kam.
Das Gesundheitssystem hier in Timor-Leste befindet sich auf unterem Niveau. Corona-Tests können hier nicht durchgeführt werden, sondern werden bisher nach Australien geschickt. Offiziell gibt es hier einen Corona-Fall. China und Kuba engagieren sich mit medizinischen Hilfslieferungen bzw. Fachkräften.
Wir sitzen jetzt erst einmal an Bord und können das stark eingeschränkte Leben auf den Straßen, sowie den mächtig reduzierten Verkehr nur noch aus der Ferne beobachten.
Am Samstagmittag liefen auf der fast leeren Straße, die genau in unserem Blickfeld liegt, eine größere Gruppe sowie etliche Polizisten herum und dabei gab dabei eine Schießerei. Fünf-, sechs Pistolenschüsse jagten uns einen heftigen Schreck ein. Die Lage wurde dann aber von der Polizei schnell geklärt und die Menschenmenge löste sich auf. Eigentlich befürchten wir erst im weiteren Verlauf der „Ausgangssperre“ Gewalttätigkeiten. Die Menschen wurden zum Schutz vor dem Corona-Virus einfach nach Hause geschickt, aber wovon sollen sie leben? Hier gibt es anders als in Deutschland keine Lohnfortzahlung und wer nicht arbeitet, verdient nichts und kann seine Familie nicht mehr ernähren. Was machen die meist 4-10-jährigen Kinder, die normalerweise täglich ihre Mangos und Eier auf der Straße verkaufen um sich ein Brötchen oder etwas Reis zu leisten? Wovon leben jetzt die Menschen, die mit ihren Kokusnußkarren üblicherweise nach Kundschaft suchen, es ab heute aber nicht mehr dürfen oder zumindest keine Kunden mehr finden?
Wir fragen uns hier auch immer häufiger, ob die Toten in den ärmeren Regionen unserer Erde, die durch den Verlust ihrer Erwerbsquellen als Folge der Corona-Krise und dem nahezu weltweiten Shutdown umkommen, auch als Corona-Tote gezählt werden? Welche Hilfsprogramme sind gegen Hunger, Gewalt und Krawalle sowie weitere Flüchtlingswellen inzwischen auf den Weg gebracht?
Viele Grüße aus Dili, Timor-Leste und bleibt gesund!
Asha & Helge
Crew der SY Gegenwind