Spanien – Eine lauernde Herausforderung?

Wir mögen das Meer, mit all seinem Leben darin – es ist absolut faszinierend!
Aber hier und jetzt wird aus der Faszination eine ernste, lauernde Herausforderung.
Wir suchen immer noch eine sichere Lösung um unsere Besorgnis zu minimieren, obwohl die Jahreszeit uns dabei hoffentlich behilflich ist.

Eine Gruppe Orcas, eine Walart aus der Familie der Delfine mit einer Größe von bis zu acht Metern und einem Gewicht von bis zu vier Tonnen, also ziemlich groß aus Gegenwinds Perspektive, treibt ihr Unwesen unter den Seglern im Gebiet zwischen der Biskaya und Gibraltar. Seit einigen Jahren haben die Tiere Interesse an Segelbooten in unserer Größe gefunden. Erst war es ein Tier, inzwischen redet man von etwa zwanzig Tieren, die namentlich bekannt sind, denn sie lassen sich anhand ihrer Rückenflossen identifizieren, wie Menschen an ihren Fingerabdrücken. Sie beißen in Ruderblätter bis sie defekt sind oder schwimmen gegen die Segelboote und drehen sie im Kreis. Das ganze Spektakel dauerte bisher von wenigen Minuten bis zu etwa drei Stunden bis sie wieder davon abließen und dabei vielfach manövrierunfähige Boote zurück ließen. Inzwischen haben sie auch schon zwei Schiffe zum Sinken gebracht – das letzte Schiff ist gerade vor einigen Tagen gesunken (02.11.2022).

Wir wollen hier natürlich nicht die gesamten Diskussionen aus den Foren wiedergeben oder vermeintliche Forschungsarbeiten dazu beitragen aber einige Informationen haben wir für unsere Passage durch die Meerenge von Gibraltar für uns aufgearbeitet und so versuchen wir zumindest einmal einen Eindruck über die uns erkennbare Lage auf der bevorstehenden Strecke mit den für uns als Segler bedenkenswerten Aspekten aufzuzeigen.

DIE TIERE  
Orcas leben weltweit verbreitet, bevorzugt allerdings in küstennahen Gewässern in höheren Breiten. Die Tiere gelten als intelligent und sozial, so daß die Weitergabe von Jagdtechniken und Lautäußerungen zu beobachten ist. Orcas sind generalistische Fleischfresser, die insbesondere Fische, Meeressäuger wie Robben, Seevögel, Meeresschildkröten und gelegentlich andere Wale erbeuten. Lokale Gruppen spezialisieren sich auf bestimmte Beutetiere, für die besondere Jagdstrategien angewandt werden. Die bekannteste ist wohl die Robbenjagd, bei der sie absichtlich stranden um junge Robben in der Brandung zu fangen. Die Orcas haben keine Fressfeinde und sind dafür bekannt, das sie in Gruppen koordiniert jagen.

Die Art gilt als nicht gefährdet, denn sie blieb vom Walfang verschont, es sind jedoch einzelne Populationen durch Umweltverschmutzung und menschliche Handlungsweisen bedroht.

Die Tiere bewegen sich meist in Gruppen von 10-70 Tieren und ziehen im Schnitt mit ca. 5kn durch das Meer, sie können allerdings auch Geschwindigkeiten von über 11kn erreichen. Ruhende Tiere bleiben meist unter Wasser und tauchen alle 2-5 Minuten wieder auf, gelegentlich verweilen sie auch bewegungslos an der Oberfläche. Die Gruppen haben eine komplexe Sozialstruktur, deren Grundeinheit die sogenannte Mutterlinie ist. Es handelt sich um eine sehr enge Bindung und besteht typischerweise aus einer alten Kuh, ihren Kälbern sowie den Kälbern ihrer weiblichen Jungtiere. Die Männchen werden eher zu Einzelgängern.  

Die Jagd auf Orcas betrifft nur kleine Stückzahlen vor Japan, Indonesien, Grönland und einigen karibischen Inseln. Sie werden aber von zahlreichen indigenen Kulturen verehrt und gehören beim Whale Watching zu den bevorzugten Arten. Angriffe auf Menschen sind eher selten und es wird vermutet, daß diese Angriffe mit einer Überfischung ihrer Nahrungsfische, in direkter Konkurrenz zu Hochseeflotten, zusammenhängen.

Der weltweite Bestand wird auf etwa 50.000 Tiere geschätzt, so daß der Gesamtbestand generell als nicht gefährdet gilt, allerdings sind lokale Bestände durchaus bedroht. Dazu trägt ein gezielter Abschuß durch Fischer, da Orcas Fische von Langleinen verzehren, sowie Gefährdung durch Umweltverschmutzung wie Öl, PCB oder andere Umweltgifte und ein Mangel an Beutefischen durch Überfischung oder auch das versehentliche Verfangen in Fischernetzten.

So besteht die Population vor Gibraltar nur noch aus wenigen Tieren. Diese Population ist besonders betroffen von Schadstoffkonzentrationen wie vor allem PCB, das in der Nähe von Industrieregionen vorkommt, und damit die Fortpflanzung und das Immunsystem der Tiere beeinflußt.
Aber genau diese gefährdete Gruppe ist es, die uns die Sorgenfalten ins Gesicht treibt. Das Aufenthaltsgebiet der Gruppe ist so weit ausgedehnt, das wir keine Chance haben Drumherum zu fahren. In den Foren sind einige zwar tatsächlich auf den Gedanken gekommen, das Segler die Straße von Gibraltar, also die einzige Verbindung zwischen Mittelmeer und Atlantik oder auch die gesamte Atlantikküste Spaniens und Portugals meiden sollten – naja.      

ORCAS IN DER STRASSE VON GIBRALTAR UND DEM GOLF VON CADIZ
Diese uns betreffende Orca- Gruppe, besteht aus etwa 50 Tieren und hält sich laut Forschern von April bis November in der Meerenge von Gibraltar auf, während sie die Herbstmonate im Atlantik vor den Küsten Südspaniens und Portugals, möglicherweise auch vor der Küste Marokkos verbringt. Ihre Hauptnahrung sind Rote Thunfische, denen die Gruppe im Frühjahr bis in die Straße von Gibraltar folgt. Während die Thunfische zum Laichen ins Mittelmeer schwimmen, warten die Orcas in der Meerenge auf die Rückkehr der Thunfische um ihnen dann im Herbst, wenn das Gros wieder in den Nordatlantik unterwegs ist, dorthin nachzustellen. Dabei gelangen sie bis in die Biskaya. Niemand weiß allerdings wo die Tiere die Wintermonate verbringen. 

Diese Subpopulation wird in der roten Liste der Weltnaturschutzunion IUCN als vom Aussterben bedroht geführt und steht daher unter strengem Schutz.  

In der Straße von Gibraltar klauen diese Orcas den Fischern gerne die Thunfische von den Leinen, so daß ihre Kälber auch größere Beute ergattern können und damit sogar eine bessere Überlebenschance haben, was sie bei den Fischern natürlich unbeliebt macht. Eine erstaunliche Verhaltensweise haben die Tiere vor der Marokkanischen Küste dabei an den Tag gelegt, denn an Freitagen, an denen die marokkanischen Thunfischer nicht arbeiten, werden auch seltener Orcas in der Gegend gesichtet.

Die Thunfischbestände in der Meerenge waren rückläufig. So wurden Fangquoten eingeführt, was das Verhältnis der Thunfischer zu den Orcas nicht gerade verbesserte. Um die Tiere vor den Gegenmaßnahmen der Thunfischer nun zu schützen, nahm man eine Anpassung der Fangquoten um die von den Orcas abgebissenen Thunfische vor und wollte so die Überlebenswahrscheinlichkeit der Orca Kälber erhöhen. Das angespannte Verhältnis von Thunfischern und Orcas blieb allerdings erhalten und so gehen die Forscher davon aus, das Thunfischer widerrechtlich mit allen Mitteln versuchen die Orcas zu vertreiben. Es wird auch vermutet, daß die Orcas diese Fischer daher meiden.

WHALE WATCHING
Alleine über die Stiftung Firmm werden jedes Jahr über 25000 Besucher auf  Whale Watching Touren ins Orca Territorium gebracht. Zusätzlich gibt es natürlich etliche weitere Unternehmen die diese Touren anbieten und den Tieren, wenn auch mit vorgeschriebenem Abstand auf die Pelle rücken.     

INTERAKTIONEN MIT BOOTEN
Seit Juli 2020 kommt es zu Interaktionen hauptsächlich mit Segelbooten unter 15 Metern Länge. Motorboote oder Fischerboote sind hingegen seltener das Ziel der Interaktionen, obwohl der erste Zwischenfall dieser Art erstmals im May 2020 von einem Schlauchboot mit festem Boden berichtet wurde.
An der Algarve war ein Sonderfall zu beobachten, denn die überwiegenden Zwischenfälle fanden dort mit den gängigen, für Whale Watching Touren genutzten Schlauchbooten mit festem Boden statt und waren lediglich Berührungen durch die Orcas.

Seit unserer Ankunft in Almerimar haben wir hier immer mehr Segler getroffen, die aus Richtung Gibraltar kommend hier einliefen und von Zwischenfällen mit Orcas in der Meerenge von Gibraltar oder entlang der spanischen und portugiesischen Atlantikküste persönlich berichteten. Die ersten zwei Wochen nach unserer Ankunft hier war es nahezu jeden Tag ein betroffenes Schiff, inzwischen sind die Meldungen seltener geworden. In Zahlen waren es 2020 mit Beginn der Zwischenfälle 51 betroffene Boote, 2021 im Folgejahr schon 188 betroffene Boote und in diesem Jahr wurde die Zahl nach Aussagen noch einmal deutlich übertroffen ist aber noch nicht auf der Internetseite von „Iberian Orca“ publiziert. Die Meldungen erwecken, gerade mit dem Versenken von zwei Schiffen den Eindruck, als könnte die Situation eskalieren.

Die Beschreibungen der betroffenen Crews erzählen vom Anstupsen der Ruderblätter, dem Anschieben des Bootes bis hin zu Bissen in die Ruderblätter mit kräftigem Rütteln und reichen zum karussellartigen Drehen des ganzen Bootes mit Rammstößen, die sich anfühlen sollen  wie das Auflaufen auf einem Riff.

Natürlich verbreiteten diese Nachrichten unter uns Seglern denen diese Gebiete auf ihrem Weg noch bevor stehen ein sehr großes Unbehagen, zumal das offizielle Sicherheitsprotokoll für die Zwischenfälle von stillhalten und gewähren lassen spricht.

MASSNAHMEN
Die Arbeitsgruppe von Iberian Orca hat inzwischen eine Ampel-Karte mit der Einstufung der Risiken etabliert. Die Karte basiert auf Sichtungen oder Zwischenfällen mit Orcas. Sie ist damit eine Hilfe, allerdings keine echte Vorhersage, da sie nur auf Meldungen basiert und damit dem aktuellen Standort der Tiere hinterherhinkt (https://www.orcaiberica.org/recommendations).

Für den Fall des Falles haben die Forscher in Zusammenarbeit mit den Behörden Verhaltensempfehlungen für die betroffenen Segler herausgegeben, die leider wenig beruhigend ausfallen und sogar gegen die Pflichten einer sorgfältigen Schiffsführung sprechen, für die es gilt in schwierigen Lagen alle zur Verfügung stehenden technischen Hilfsmittel zu nutzen um die Sicherheit von Crew und Schiff sicherzustellen.

Das Verhaltensprotokoll schreibt den betroffenen Booten vor, sich völlig still zu verhalten während die Orcas sich beim Schiff befinden und die Ruderanlage des Schiffes in gefährlicher Weise demontieren (https://www.orcaiberica.org/safety-protocol).

Für unsere Reiseplanung durch die Straße von Gibraltar setzten wir auf unseren Abfahrtstermin, da die Orcas ab November die Meerenge verlassen haben sollen, so daß wir unter normalen Umständen in unserem Fahrtgebiet nicht auf sie treffen sollten. Zusätzlich werden wir unser Echolot, das auf der Sonarfrequenz der Orcas arbeitet mit der sie ihre Beute orten,  abschalten, um sie nicht auf uns aufmerksam zu machen und  wir hoffen die Meerenge unter Segeln zu passieren, so daß wir auch keine Motorengeräusche verursachen.

QUELLEN
Wikipedia: Stichwort Schwertwal
Firmm Espaňa: www.firmm.org
Iberian Orca: www.orcaiberica.org
CA Cruising Association: www.theca.org.uk/orcas/reports
Earth Touch: www.earthtouchnews.com/conservation/human-impact/catch-stealing-orcas-are-charging-after-fishing-boats-and-into-harms-way/

Viele Grüße aus Almerimar, spanisches Festland
Asha & Helge
Crew der SY Gegenwind

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